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Post vom Vorstand: Gedanken und Forderungen zum neuen Jahr 2022

Aktualisiert: 15. März 2022

„Jetzt erst recht“: Der negativen Pandemie die positive Prävention entgegensetzen!

 

Die Gesellschaft für Prävention gem. e. V. (GPeV) macht einen schwermütigen Jahresrückblick, hält sich mit einem Ausblick vorsichtig zurück, fordert aber gleichzeitig nicht nur von der neuen Bundesregierung umso energischer die Beachtung von, und ein Bekenntnis zur Prävention und Gesundheitsförderung!


„Es fällt schwer, einen Rückblick auf das vergangene Jahr nur auf die zwölf Monate von 2021 zu richten. Bei der Bewertung der jüngsten Vergangenheit, deren Alltag und der Entwicklung verschiedener Programme, Projekte - und wie in unserem Fall auch Organisationen und Netzwerke - mag man immer auf die Zeit seit dem ersten Covid-Fall in Deutschland am 29. Januar 2020 oder dem folgenden Lockdown ab März zurückblicken. Covid lässt die zeitlichen Grenzen verschwimmen.


Gesundheitsförderung muss eine ernüchternde Bilanz ziehen Aus Sicht der Prävention und Gesundheitsförderung lässt sich nur eine ernüchternde Bilanz ziehen: Wir mussten beispielsweise feststellen, dass die Gesundheitskompetenz in Deutschland von 2014 bis 2020 gefallen ist – bei Zweidritteln der Deutschen wird sie als problematisch oder inadäquat eingestuft (Hurrelmann, Klinger, & Schaeffer, 2020). Die Gesundheitskommunikation lässt sich in den vergangenen zwei Jahren als durchaus schwierig bezeichnen und benötigt intensive Forschungen (und Lösungen) aus dem Bereich der Mediennutzungs- und Medienwirkungsforschung. Vor allem die Echokammern der nicht selten anonymen sozialen Medien spielen eine erschwerende Rolle, aber auch das Scheinwerferlicht auf Querdenkende, Wissenschaftsleugner*innen und anderweitig orientierte Gruppierungen oder Individuen, die die Gesundheit als Plattform für ihre Interessen missbrauchen. Auch wir mussten feststellen, dass uns durch anonyme Forenbeiträge oder unmittelbare Kommentare insbesondere dort verbalaggressiv entgegengetreten wurde, wo das Thema Impfen in Zusammenhang mit Prävention wahrgenommen wurde. Ein Rückschlag für unsere Bemühungen, der Prävention im Sinne einer Umorientierung und Motivation als (salutogenetischem) Paradigmenwechsel ein durchweg positives Image zu geben.

Die bedrückendsten Erkenntnisse sind wohl, dass ein aktiver Lebensstil, vor allem in sozial motivierten Sportarten, aber auch das Wahrnehmen anderer sozialer Anlässe oder das Einhalten eines gesunden Rhythmus‘ im Alltag insbesondere für Kinder und Jugendliche kaum möglich waren, sind und vermutlich vorerst bleiben werden. Dazu kommen eingefrorene Budgettöpfe für Präventionsgelder bei den gesetzlichen Kassen. Die neusten Studien der Krankenkassen oder Ergebnisse aus zahlreichen Forschungsarbeiten zum gleichen Thema zeigen uns u. a. eine Zunahme von klinisch zu behandelnder Adipositas im Kindesalter, ebenso einen Anstieg bei der Mediennutzung und deren negativen Folgen, eine zunehmende Prävalenz psychischer oder anderweitiger Erkrankungen, denen wir eigentlich mit unserer Präventionsarbeit entgegentreten wollen, u. v. m. (vgl. Berichte aus 2021 der DAK, DKV, TK etc.).

Zuletzt wissen wir auch, wie diese interdependenten und problematischen Zusammenhänge aus Bewegung, Ernährung, Stress, Sucht oder Schlaf das Inflammationsrisiko erhöhen und das Immunsystem schwächen, worunter vor allem unser natürliches Abwehrsystem gegen das Covid-Virus leidet. Angesichts steigender Fallzahlen der Variante Omikron (vgl. GISAID, CoVariants) und den ersten besorgniserregenden Erkenntnissen zum Thema Long-Covid bleibt zumindest kurz- bis mittelfristig die Zukunft für Prävention und Gesundheitsförderung weiterhin schwierig.


Auch wir in der GPeV sowie in unserem Netzwerk haben dies in der Vergangenheit gespürt: Veranstaltungen mussten plötzlich virtuell oder hybrid durchgeführt werden, Projekte und Programme wurden abgesagt oder eingemottet, andere dafür kurzfristig aus dem Boden gestampft. So steht uns beispielsweise seit fast zwei Jahren sowohl die Finanzierung, die Expertise als auch die (Wo-)Manpower zum Start von kommunalen Gesundheitsförderungsprozessen in fünf Städten zur Verfügung, zum Start kam es jedoch von Seiten der Kommunen nicht. Viele Partnerorganisationen berichten uns ähnliche Erfahrungen mit ihren Präventionsprojekten - vergebenes Engagement und Enttäuschungen inklusive. Omikron wirft zudem seine Schatten voraus: Hinter unserer groß angelegten Präsenzveranstaltung am 23. Mai 2022 steht ein großes Fragezeichen. Wir arbeiten an einem kleinen Ersatzformat für unsere 6. Petersberger Präventionsgespräche und hoffen zu Beginn der zweiten Jahreshälfte unsere Programmideen besser umsetzen zu können. Immerhin sind nicht nur die exzellenten Vortragenden oder Startups das Herzstück unserer Kongresse, sondern insbesondere der fachliche und persönliche Austausch im Anschluss in inspirierender und kreativer Atmosphäre – und eben in Präsenz.


Forderung an die neuen Entscheider im Bundesministerium Wir wissen natürlich um die großen Herausforderungen, die dieses Corona-Krisenmanagement mit sich bringt. In Anbetracht der Entwicklungen, der hier skizzierten Erkenntnisse um die Potenziale und der Vorteile von Prävention und Gesundheitsförderung sowie der Gefahr, eben jene im Laufe der Pandemie immer weiter in den Hintergrund geraten zu lassen - und als kurzfristigen Teil des Problems und nicht als langfristigen Teil der Lösung zu sehen – wiederholen und verstärken wir unsere Forderung nach mehr Beachtung sowie einem Bekenntnis zu einer umfangreichen Förderung für Prävention und Gesundheitsförderung, resp. deren Ausbau! Das gilt für den politischen Willen allgemein sowie für die Stärkung in gesetzlicher wie finanzieller Hinsicht von Einrichtungen und Leistungsträgern, die sich voller Überzeugung und mit hoher Expertise für diesen vermeintlichen Paradigmenwechsel einsetzen. Ausführlich haben wir dies im Positionspapier mit dem DSPN und Deutschen Städte- und Gemeindebund beschrieben (vgl. www.dstgb.de/themen/gesundheit).


Die GPeV und ihr Netzwerk können dafür eine entscheidende Rolle einnehmen. In diesem Netzwerk werden nicht nur auf horizontaler Ebene trägerübergreifende Projekte sowie synergetischer Wissenstransfer gefördert, auch kann in der GPeV die Vertikale bedient werden: von Top-Science bis hin zu systematischen Erkenntnissen in der praktischen Umsetzung („an der Basis“). Als ein Beispiel für die effiziente Zusammenführung und Optimierung von Trägern und Prozessen sei hier die kommunale Gesundheitsförderung genannt. Seit Jahren sammelt die GPeV Ergebnisse aus Begutachtung und Begleitung von Quartiersmanagement oder anderen kommunalen Gesundheitsförderungsprojekten und tauscht sich mit Verbänden, Organisatoren und Leistungsträgern aus. Ende 2019 wurden hier Sollbruchstellen in der Umsetzung herausgearbeitet, die durch die Petersberger Präventionsgespräche bis ins Bundesministerium für Gesundheit Gehör fanden.

Als Folge wurde ein neuer Prozessplan im kommunalen Gesundheitsmanagement gemeinsam mit dem DSPN sowie eine Präventionsmatrix entwickelt - und schließlich das o.g. Positionspapier gemeinsam mit dem deutschen Städte- und Gemeindebund herausgegeben. Allein das DSPN erhielt in der Folge den Auftrag der kommunalen Beratung in acht Bundesländern durch den GKV und den Auftrag zur Förderungsumsetzung in diversen Kommunen, durchfinanziert durch diverse Krankenkassen.

Wir wissen gemeinhin längst, dass ein strategischer Paradigmenwechsel für die Prävention und Gesundheitsförderung auf ganz anderen Ebenen stattfinden muss - holistisch, interdependent und vollumfänglich gesellschaftspolitisch betrachtet. D.h., auch außerhalb von BMG, Arztpraxen oder anderen Leistungsträgern. In allen Bereichen sehen wir bspw. signifikante Unterschiede zwischen sozioökonomischen Milieus oder der Bildungsnähe des Elternhauses in Fragen der Gesundheitskompetenz, des Lebensstils oder der Prävalenz von morbiden Krankheiten; wobei die von uns postulierte primäre Prävention sich nahezu allem entgegenstellt: egal ob Adipositas, negativen Herz-Kreislauf-Ereignissen, Krebs, Diabetes et cetera pp. (siehe u. a. www.gesundheitliche-chancengleichheit.de).

Die Psychologie oder Neurobiologie legen uns längst evidenzbasiert vor, welch negativen Einfluss Einsamkeit auf den Menschen hat, während unsere Gesellschaft Individualisierung in Form von Digitalisierung, Wohnstrukturen oder Arbeitsgestaltungen vorantreibt: Die Vereine leiden an Mitgliederschwund, in Großstädten sind über die Hälfte Singlehaushalte, Hochbetagte sterben unbemerkt. Der neuzeitige Hang zur Generalisierung und damit undifferenziert-pauschalen Forderungen und deren möglichen negativen Implikationen für Gesundheit zeigt sich besonders deutlich bei der Digitalisierung. Neurowissenschaftler wie Manfred Spitzer (2012 u. a. zur „digitalen Demenz“) warnen uns schon länger davor, Kinder unbedacht mit technischen Mitteln auszustatten. Es kommt sehr wohl darauf an, wie die Voraussetzungen des Einzelnen im Umgang mit diesen Medien sind. Ansonsten stellen sich durchaus negative Effekte in Bildung, sozialem Verhalten oder eben Gesundheit ein. Wir werden bei der GPeV nicht nur diesen Erkenntnissen aus diesem für die Gesundheit so ertragreichen Wissenschaftszweig eine größere Bühne geben!

Natürlich haben wir auch gerade in Coronazeiten unsere Bemühungen in der Lebenswelt Schule, Kita und Familie vorangetrieben, auch planen wir schon, Themen wie Reboarding, Homeoffice und Gesundheitsschutz in Schulungen in der Lebenswelt Betrieb zu fokussieren. Gespräche rund um das Haus der Prävention werden derzeit ebenso aussichtsreich vorangetrieben wie zahlreiche Anbahnungen zur institutionellen Vergrößerung unseres Netzwerkes. Damit werden wir unserer Idee von Gesundheits(förderungs-)kommunikation gerecht: Die Potenziale der Prävention über die „3 M“ - Medien, Maßnahmen und Multiplikatoren - motivierend zu vermitteln!

Umso wichtiger: Gesundheit, Gemeinschaft und Glück für 2022! Es fällt schwer, am Ende eines solchen Textes einen authentisch-positiven Wunsch für die Zukunft, genauer für ein gesundes, glückliches und erfolgreiches Jahr 2022 zu formulieren. Doch gerade in diesen Zeiten wünsche ich es all unseren Mitgliedern, Freunden und Förderern sowie darüber hinaus umso mehr.

Vermutlich nicht ganz ernst wurde mal philosophisch festgestellt (Autor unbekannt), dass jemand, der motiviert nach vorne möchte, aber stetig zurückblickt, sich eigentlich nur auf einer Stelle im Kreise dreht:

Wir bei der GPeV wissen sehr wohl, woher wir mit unseren Bemühungen zur Prävention und Gesundheitsförderung kommen, wir mussten auch feststellen, dass Corona wie ein Brennglas und Brandbeschleuniger viele neue Herausforderungen geschaffen hat und gleichsam Bemühungen erschwert. Wir möchten auch wieder mehr zuhören und gehen daher in den ersten Wochen des neuen Jahres auf unsere Partner und Mitglieder zu: Welche neuen Herausforderungen haben sich für Sie ergeben? Wie haben sich Ihre Erwartungen an die GPeV verändert? – alles das möchten wir von Ihnen erfahren.

Aber wir wissen auch, wohin wir weiterhin gehen wollen, auch wenn der Weg zunächst etwas schwieriger zu sein scheint oder Umwege nötig sind: Ich freue mich darauf, mit Ihnen gemeinsam jeden kleinen Schritt in Richtung Paradigmenwechsel durch eine positive Prävention zu gehen! Die GPeV möchte sich als innovativer, interdisziplinärer und trägerübergreifender „think tank“ dafür weiter etablieren und als Drehscheibe aus Praxiserfahrung und Wissenschaft zwischen den Lebenswelten Sie und Ihre engagierten Vorhaben unterstützen.

Bleiben Sie gesund!“


Ihr Mathias Bellinghausen - für den Vorstand -




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